MAZ vom 1.02.2013
Ein schreckliches Kapitel deutscher Geschichte
Gedenkstunde in Groß Machnow zum 30. Januar 1933
GROSS MACHNOW – Dass das Thema Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30.Januar 1933 die Menschen bewegt, zeigte sich bei einer Gedenkstunde in Groß Machnow anlässlich der 80. Wiederkehr dieses Tages. Nicht nur, weil der Saal des Gutshauses fast bis auf den letzten Platz gefüllt war. Menschen mittleren Alters und Ältere, nur wenige junge Leute und Kinder, Vertreter der einladenden kommunalen und evangelischen Gemeinde und des Kulturvereins Rangsdorf waren erschienen, um sich mit einem schrecklichen Kapitel deutscher Geschichte auseinanderzusetzen.
Bürgermeister Klaus Rocher übernahm für den erkrankten Pfarrer Pagel Begrüßung und Einführung der Gäste. Er zeichnete die Situation im vom ersten Weltkrieg gebeutelten Deutschland nach. Arbeitslosigkeit, wachsende Armut, Unsicherheit und Unzufriedenheit mit der Regierung hatten eine Stimmung im Land heraufbeschworen, die dem braunen Ungeist Nährboden war.
Rocher zog Parallelen zu heute, wo Neonazis schon wieder in Parlamenten präsent und in jedermanns Bewusstsein sind. Wohin es damals führte, abzuwarten, um den braunen Spuk vorüber gehenzulassen, ist bekannt. „Das soll uns Mahnung sein, trotz Unzufriedenheit populistischen Parolen keine Chance zu geben“, so Rocher. Weil die Problematik Fremdenfeindlichkeit damals eine wichtige war, betonte er die Bedeutung, andere Menschen, Gewohnheiten und Kulturen kennenzulernen. Deshalb schätze er das Programm der Städtepartnerschaften umso mehr, das Rangsdorf mit Italien und Polen verbinde. Mit Musik von Debussy, gespielt von den Schülern Niclas Krohn (Klavier) und Charlotte Balcke (Klarinette), wurde zu einer Lesung übergeleitet.
Der Rangsdorfer Eike Mewes und der Groß Machnower Siegfried Fiedler schlüpften in die 1930er Jahre und in die Rollen der Freunde Martin und Max, einem Juden. Die beiden deutschen Kunsthändler hatten in Los Angeles eine erfolgreiche Galerie aufgebaut, bevor Martin nach München zurückkehrt und die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler erlebt. Die Briefe, die sich die zwei schreiben, sind anfangs von großer Wärme, intellektuellem Anspruch, von Kultur und Weltläufigkeit geprägt. Doch Martin strebt der NSDAP zu, übernimmt Ämter und entfernt sich so schnell und absolut von seinem Freund, dass sein schneidender Ton in den Briefen weh tut.
Als Max’ Schwester, eine jüdische Schauspielerin in Berlin, 1933 von der SA gejagt und erschlagen wird, weil Martin ihr ein Asyl verweigert, nimmt der Schriftverkehr eine Wende: Wider das Flehen von Martin, nicht mehr zu schreiben, schickt Max alle 14 Tage Briefe zweideutigen Inhalts.
Die werden natürlich „mitgelesen“ und bald bekommt Max den letzten Brief mit dem Vermerk „Adressat unbekannt“ zurück. So wie zuvor von seiner Schwester.
Die Lesung berührte das Publikum sehr, das umso erstaunter war, dass es sich nicht um einen Tatsachenbericht handelte.
Die amerikanische Autorin Kathrine Taylor hatte den fiktiven Briefwechsel bereits 1938 in einer US-Zeitschrift veröffentlicht. Nach dem gelungenen Programm bedurfte es am Schluss Raumes und Zeit, um individuelle Gespräche zu führen. Besucher fanden sich in Gruppen zusammen und diskutierten weiter. (Von Andrea von Fournier)